CampusGrün Hamburg

Gegen jeden Neoliberalismus!

Auf unseren Antrag hin ist diese Positionierung Beschlusslage des CampusGrün-Bundesverbandes geworden.

Der Neoliberalismus wurde zwischen den 70er- und 90er-Jahren vorherrschend und löste damit den " Korporatismus" aus der Nachkriegszeit ab, der auf eine keynesianische Wirtschaftspolitik setzte.* Kennzeichnend für den Neoliberalismus sind ein Marktradikalismus, die Feindschaft gegenüber dem Sozialstaat und ein Begriff von "Freiheit" bzw. Liberalismus, der allein auf die Freiheit von staatlichen Zwängen ("negative" Freiheit) setzt und nicht auf die ermöglichende bzw. "positive" Freiheit, also der, die materielle Ressourcen bereitstellt, die den Menschen eine möglichst freie Entfaltung ihrer Selbst ermöglichen würde.
Spätestens seit der Finanzkrise 2009, in der das Scheitern des politischen Marktradikalismus deutlich wie nie zuvor geworden ist, kann sich kein ernsthafter Politiker mehr politisch als "neoliberal" outen. In weiten Teilen der gesellschaftlichen Linken grenzt man sich gerne vom Neoliberalismus ab. Dass der Begriff verbrannt ist, hat aber noch längst nicht dazu geführt, dass die jahrzehntelang vorherrschende neoliberale Politik wieder abgewickelt wurde. So sind zum Beispiel die Hartz-Gesetze nach wie vor in Kraft, die Vermögenssteuer immer noch nicht wiedereingeführt, die Universitäten werden immer mehr zu Unternehmen zur Produktion von "Humankapital" und die Vermögenskonzentration nimmt immer weiter zu. Das Problem besteht sehr wesentlich darin, dass es der gesellschaftlichen Linken nicht gelungen ist, über die formelle Abgrenzung vom Label "neoliberal" hinauszukommen.
Als zentrale Elemente der weiteren anti-neoliberalen Auseinandersetzung fassen wir:
Der Mythos vom Antagonismus zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Vollbeschäftigung einerseits und Sozialem, Umverteilung und guten Löhnen andererseits:
Der Neoliberalismus behauptet, ein flexibler und deregulierter Arbeitsmarkt mit geringen Lohnkosten für die Unternehmen und wenig Umverteilung (z.B. in Form von Unternehmensbesteuerung) würden zu niedriger Arbeitslosigkeit und gutem wirtschaftlichem Wachstum führen. Das ist jedoch falsch. Das wesentliche Hemmnis für Wachstum ist in entwickelten Volkswirtschaften nicht die Tatsache, dass Unternehmen zu wenig Geld hätten, um investieren, Forschen und Leute einstellen zu können - sondern, dass sie das nur dann auch tun werden, wenn die damit verbundene Ausweitung der Produktion sich auch lohnt. Und das wiederum ist nur dann gegeben, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die hauptsächlich von den Masseneinkommen abhängt, ausreichend wächst. Höhere Löhne und mehr Umverteilung führen also in Wahrheit zu weniger Arbeitslosigkeit, mehr Wachstum und mehr technologischem Fortschritt (allerdings weniger Reichtum für Reiche). Davon unabhängig ist durchaus in Frage zu stellen, ob wirtschaftliches Wachstum ein immer sinnvolles Ziel ist.
Der Mythos, dass Sparen gut und Schulden böse seien:
Der Neoliberalismus verallgemeinert die Beobachtung, dass Sparsamkeit für einzelne Privathaushalte langfristig ökonomischen Wohlstand bedeutet, auf gesamte Volkswirtschaften (Analogie der "schwäbischen Hausfrau"). Erstens können Volkswirtschaften nicht als ganze sparen, Vermögen und Schulden summieren sich immer zu null. Zweitens: Wenn Unternehmen sich verschulden, um zu investieren, wenn Privathaushalte sich verschulden, um zu konsumieren oder wenn Staaten Schulden aufnehmen, um zu investieren oder sozial umzuverteilen, nützt dies der wirtschaftlichen Entwicklung. Die einzige Möglichkeit, als Volkswirtschaft mehr zu sparen als auszugeben, ist, wenn das Ausland sich verschuldet - das kann allerdings, im Hinblick auf Eurokrise und Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Staaten, keine Lösung sein.
Konkurrenzideologie; Glorifizierung des Wettbewerbs; "There is no such thing as society"
Der Neoliberalismus propagiert, dass die Prinzipien, nach denen der Wettbewerb zwischen Unternehmen im Kapitalismus funktioniert, also Profitstreben, Effizienz und Egoismus, ebenfalls sinnvolle Prinzipien für die gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen Menschen und Gruppen von Menschen bis hin zu Staaten sei. Damit wird der Vereinzelung von Menschen, dem Niedrigsteuerwettbewerb zwischen Staaten, der "marktkonformen Demokratie", der Inkaufnahme bestehender Ungleichheit, der Ökonomisierung aller Lebensbereiche und der Behauptung, in der Politik ginge es um die Durchsetzung von Einzelinteressen, das Wort geredet. Jede linke Organisierung oder überhaupt die Überzeugung davon, dass es ein Allgemeininteresse gibt, wird dadurch infrage gestellt. In Wahrheit ist der Mensch ein gesellschaftliches Wesen, und auch unser Wohlstand wird nicht durch Individuen geschaffen, die sich konkurrenzhaft gegen andere durchzusetzen, sondern durch gesellschaftlich organisierte Arbeitsteilung.
Leistungsträger*innenideologie
Der Neoliberalismus propagiert, dass individueller Wohlstand die Folge von besonderer Leistungsbereitschaft und umgekehrt Armut die Folge von "Faulheit" sei. Damit wird verschleiert, dass der Kapitalismus, insbesondere in seiner derzeitigen Form, extrem ungleiche Voraussetzungen für Menschen bedeutet (insbesondere zum Beispiel Erbschaften) - und außerdem, dass der Kapitalismus nicht nur ein ökonomisches, sondern ein Herrschaftsverhältnis ist. Damit wird die extreme Ungleichheit, die der Kapitalismus produziert, als gerecht vermarktet und außerdem jede Maxime für die individuelle Lebensführung, die nicht das Streben nach ökonomischem Reichtum ist, als "Faulheit" diffamiert. Aber auch die Bestrebung einiger Teile der gesellschaftlichen Linken, "Chancengleichheit" zu realisieren, ist letztlich eine Annahme und keine Verwerfung der Leistungsideologie - behauptet sie doch, dass alles gerecht sei, wenn nur alle benachteiligten Menschen empowert würden, bis sie die gleichen Startvoraussetzungen haben (wann immer das im Kapitalismus sein soll), nur damit sie danach wieder die Ellenbogen gegeneinander ausfahren können.
Es wird deutlich: Der Neoliberalismus war als Ideologie extrem erfolgreich. Viele Begriffe, Argumentationen und Konzepte, die in der politischen Debatte verwendet werden, sind neoliberal geprägt und verfestigen falsche Vorstellungen über gesellschaftliche Realitäten. Solange diese Mythen nicht gesamtgesellschaftlich verworfen werden, ist es schwer bis unmöglich, den gesellschaftlichen Diskurs wieder echt nach links zu verschieben - und nicht zuletzt dadurch erst wieder wirkungsvoll handlungsfähig gegen den aktuellen Erfolg von Rechten zu werden.
Campusgrün setzt sich konsequent für den Abbau sozialer und ökonomischer Ungleichheit ein. Dies beinhaltet auch die Rechtfertigung dieser Ungleichheit durch eine vorgebliche ökonomische Notwendigkeit als ideologisch zu demaskieren. Wir sprechen uns gegen eine Konkurrenzideologie aus, die zur Vereinzelung von Menschen, zu Ungleichheit und der Ökonomisierung aller Lebensbereiche führt. Stattdessen wollen wir die Gemeinschaft in den Vordergrund stellen und solidarische und gemeinwohlorientierte Wirtschaftsformen finden.

Campusgrün beschließt,
* der neoliberalen Ideologie entschieden den Kampf anzusagen. Zur neoliberaler Ideologie gehört für uns im speziellen auch, wie oben beschrieben, der "Trickle-down"-Mythos, die Sparsamkeits-, Konkurrenz-, Leistungsträger*innenideologie und die Feindschaft gegenüber dem politischen Prozess und seinen Institutionen.
* sich dem mit der neoliberalen Ideologie einhergehenden Sozialabbau, der fortschreitenden Privatisierung und Ökonomisierung der Daseinsvorsorge (z.B. Bildung, Pflege, Wohnen) sowie der Schuldenbremse entgegen zu stellen und für materielle Verbesserungen zu kämpfen. Das schließt insbesondere angemessene Löhne, solidarisches Wirtschaften und ein gutes Leben für alle ein.
* grundsätzlich alle, insbesondere die in 1. benannten, neoliberalen Konzepte und Begriffe**, mit denen sie im politischen Diskurs konfrontiert ist, als solche zu benennen, über die dahinterliegenden Mythen aufklärt und scharf als Ungleichheitsideologie verurteilt.



* Siehe weiterführende Literatur zur Geschichte des Neoliberalismus, ua.: Schui, Helmut: Die Krise des Wohlfahrtsstaates durch unsachgemäße Politik: Die politische Vorbereitung des Neoliberalismus. In: Schui et al.: Wollt ihr den totalen Markt? - der Neoliberalismus und die extreme Rechte, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1997, S.45-52.

** Zum Beispiel: die "schwäbische Hausfrau"; die Behauptung, man könne "über seine Verhältnisse leben"; die Behauptung, bei Lohnerhöhungen würde Arbeitslosigkeit entstehen; die moralische Einteilung in "gut/schlecht" für Sparsamkeit und Verschuldung; dass Staaten nicht mehr ausgeben könnten, als sie einnehmen; die Glorifizierung der Exportabhängigkeit (und damit des Niedriglohnsektors) Deutschlands.