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Studienreform

Wissenschaft hat dann eine Berechtigung, wenn sie, wie es als universitäre Aufgabe auch im Leitbild der Uni Hamburg (UHH) gefasst ist, „zur Entwicklung einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft“ beiträgt - also emanzipativ ist. Dazu muss sie sich damit beschäftigen, wie die gemeinwohlorientierte Gestaltung der Verhältnisse gelingt und gegen die Interessen derjenigen, die von Mensch und Natur ausbeutenden Verhältnissen profitieren, durchgesetzt werden kann. Hierfür ist es von grundlegender Bedeutung, sich selbst als gestaltenden Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen und Verhältnisse in ihrer Historizität zu begreifen: Sie sind menschengemacht und deshalb grundsätzlich veränderbar. Wissenschaft bleibt nie folgenlos. Sie ist daher auch nicht in einem imaginären "außerpolitischen Raum vorstellbar". Konsequent versteht sie sich daher auch selbst explizit als politisch, wenn sie durch ihr Eingreifen in gesellschaftliche Entwicklung Position bezieht.

In diesem Sinne betreiben wir an der Uni Hamburg Studienreform zur Realisierung emanzipatorischer Bildung. Studium muss notwendigerweise Bildung mündiger Persönlichkeiten durch Wissenschaft sein. Sinnvoll ist ein Studium dann, wenn Forschung und Lehre eine Einheit bilden, die verschiedenen Lehrveranstaltungen also jeweils Fragestellungen zu den Schlüsselproblemen unserer Zeit erarbeiten und so zu kritischer Wissenschaft beitragen. Hierfür ist die Orientierung von Forschung und Lehre an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen, welche eine Verständigung über wichtige Ziele zur Verwirklichung von Menschenrechten darstellen, auszuweiten. Aufbauend auf diesen Zielen erforschen einige inneruniversitäre Einrichtungen beispielsweise Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und deren Umsetzung (SDG 13) oder erarbeiten Konzepte der Inklusion (SDG 4). Diese können dann beispielsweise in Seminaren weiterentwickelt werden, sodass gesellschaftliche Entwicklung vorangebracht werden kann. Zur Realisierung der Einheit von Forschung und Lehre muss Universität durch ihre Mitglieder demokratisch aus dem Wissenschaftsprozess heraus gestaltet werden. Eine gemeinsame Bestimmung der gesellschaftlich drängenden Probleme und eine kooperative, inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit sind notwendige Grundlage progressiver Entwicklung. Hierfür ist auch eine egalitäre Zusammenarbeit zwischen allen Mitgliedern der Universität unerlässlich. Studium ist solidarisches Lernen, um gesellschaftliche Zusammenhänge zu durchdringen und human zu gestalten! Mit der sogenannten Bolognareform sollten seit 1999 kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung eingeschränkt und Studium vor allem auf die unmittelbare ökonomische Verwertbarkeit ausgerichtet werden. Die versuchte Umstrukturierung nach wirtschaftlichen Prinzipien wie entdemokratisierender Managementstrukturen und Profitmaximierung war dabei stets Instrument, um die fortschrittlichen Errungenschaften der Massenuniversität zu bekämpfen. Kritische Wissenschaft soll durch ein Revival des Zwei-Klassen-Bildungssystems und einer damit einhergehenden Verschulung des Studiums zurückgedrängt werden: Die vielen Studierenden sollten mit einer Fachausbildung schnell mit einem Abschluss (Bachelor) von der Uni abgehen und als "günstiges" Humankapital auf den Arbeitsmarkt verwertet werden. Nur Wenige sollten dagegen die Möglichkeit eines de facto wissenschaftlichen Studiums erhalten. Der Numerus Clausus ist hierbei ein weiteres Werkzeug, um bereits vor dem Studium zu selektieren und den Zugang zu Bildung für alle einzuschränken. Ein Numerus Clausus fördert außerdem Elitenbildung, weil "Bildungserfolge" immer noch mit "bildungsnaher" Herkunft korrelieren. Dies wirkt sich auf Wissenschaft aus, wenn Forschung dann vor allem dem Ziel der Durchsetzung der Partikularinteressen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen dient. Insgesamt bedeutet die Beschränkung von Hochschulzugangsberechtigungen eine Entdemokratisierung, weil bestimmte Menschen an der gemeinsamen Beratung über Ausrichtung und Inhalt von Forschung ausgeschlossen sind. Die Ermöglichung eines des Studiums für alle Menschen ist deshalb dringend notwendig.

Die Ökonomisierung von Wissenschaft soll vor allem durch Unterfinanzierung vorangetrieben und naturalisiert werden. Künstlich verknappte Mittel sind der Versuch, Orientierung an wirtschaftlichen Kriterien zu erzwingen, um Einzelinteressen und Steigerung von Profiten durchzusetzen. Unterfinanzierung führt zu Arbeitszeitvergeudung durch andauernden Zwang, Anträge auf finanzielle Förderung zu stellen (Drittmittel), und setzt gleichzeitig auf Anpassung an von außen auferlegte Maßstäbe und die Interessen von Kapitalgeber*innen. Anstatt kritischer Einmischung in gesellschaftliche Auseinandersetzungen und gemeinsamer Verständigung steht somit der Wettbewerb zwischen den Universitätsmitgliedern. Konkurrenz ist jedoch grundsätzlich wissenschaftsfeindlich, weil sie z.B. zu Geheimhaltung und sogar Manipulation von Ergebnissen führt. Sie begrenzt die Möglichkeiten progressiver gesellschaftlicher Entwicklung, denn kooperative Forschung, in der man voneinander und miteinander lernen und Ergebnisse entwickeln kann, führt immer zu deutlich besseren und schnelleren Ergebnissen. Konkurrenzhafte Verhältnisse sollen die Frage nach der Nützlichkeit für die Menschheit in den Hintergrund drängen, denn die eigentliche Frage: „Ist mein Ansatz eine sinnvolle Lösungsmöglichkeit für das Problem und wie kann er zur Entwicklung einer menschenwürdigen Welt beitragen?“ wird von Fragen nach Auswirkungen auf Drittmitteleinwerbung und Publikationsindex überschattet. Die staatlichen Drittmittel unter dem Label der Exzellenzstrategie (für die sich auch die UHH bewirbt) sind ein aktuelles Instrument für diese Verschärfung der konkurrenzhaften Verhältnisse, welches Unterfinanzierung verschleiern soll. Die Unterfinanzierung aller öffentlichen Bildungsstätten wird wesentlich mit der zwingenden Notwendigkeit einer strengen Austeritätspolitik legitimiert. Die Aufgabe von kritischer Wissenschaft ist es, die Sparpolitik zu kritisieren, weil sie den Ansprüchen eines menschlichen Zusammenlebens entgegenstehen. Gleichzeitig müssen wirtschaftliche Zusammenhänge (wie beispielsweise die „unsichtbare Hand“ des Marktes und ihre Funktion der Verstetigung von Ungleichheit) entmystifiziert und die Notwendigkeit der Schuldenbremse auf ihren Nutzen für die Verwirklichung einzelner Partikularinteressen hinterfragt werden. Der Versuch der Ökonomisierung der Universitäten kann nur scheitern, denn Bildung als Konzept der Durchdringung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist ein kritisches, widerständiges Moment immanent. Für die Befürworter der Ökonomisierung resultiert so ein Dilemma: Führt man die Ökonomisierung fort, wird der Wissenschaftsbetrieb entwissenschaftlicht und führt schlussendlich auch zu weniger Innovation. Bremst man sie dagegen, erfüllt sie wieder mehr und mehr ihre kritische Funktion. Die erkämpften Errungenschaften wie zum Beispiel die erfolgreiche Abschaffung der Modulfristen (gegen die sich bislang nur die besonders restriktive BWL-Fakultät sperrt) oder die Einführung eines Studium Generale in den Geisteswissenschaften und Erziehungswissenschaft machen deutlich, dass unsere Hoffnung auf eine breite kritische Universität nicht vergeblich sind. um Anfang 2018 wurde außerdem eine uniweite Rahmenprüfungsordnung verabschiedet, die eine Grundlage für die Verallgemeinerung weiterer Entrestriktionierung und Demokratisierung für alle Fakultäten festhält. In diese Richtung verweist auch die in der MIN-Fakultät vereinbarte Zivilklausel, die Forschung für militärische Zwecke ausschließt und sie stattdessen ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß auf zivile Zwecke ausrichtet.

Akkreditierung
In diesem Sinne kämpfen wir auch gegen die Einführung von vermeintlichen "Qualitätssicherungssystemen" wie der Akkreditierung durch externe Unternehmen, weil diese die Freiheit von Forschung und Lehre beeinträchtigen und privatwirtschaftliche externe Überprüfung von Inhalten etablieren. So handelt es sich bei Akkreditierung um ein Mittel, welches privatwirtschaftliche Interessen durchsetzen soll, also die Anpassung von Forschung an verwertbare Ergebnisse und die Generierung von arbeitsmarktkonformen Absolvent*innen garantieren soll. Dies gelingt vor allem durch Entdemokratisierung der Hochschule. Ihre Mitglieder sollen Universität nicht mehr demokratisch aus dem Wissenschaftsprozess heraus gestalten, sondern gezwungen werden, sich an von außerhalb der Universität entwickelte, außerwissenschaftliche Maßstäbe anzupassen. Qualitätsentwicklung an Universitäten sollte auf qualitative Verbesserungen hinwirken, die nur durch Einheit von Forschung und Lehre und Diskussionen aller Mitglieder realisiert werden kann.

Bildung für alle
Die durch die '68er erkämpfte soziale Öffnung der Hochschulen soll eingeschränkt werden: Das Selektionsinstrument des Numerus Clausus (NC), der eigentlich nur als kurzfristige Übergangsregelung angedacht war, beschränkt den Zugang zu Studienplätzen heute in über der Hälfte aller Studiengänge. Das schränkt das im Grundgesetz festgehaltene Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte ein, vor allem dann, wenn der gesamtgesellschaftliche Reichtum zeigt, dass Bildung für alle finanzierbar ist. Propagierte Leistungsideologie soll die staatlich hergestellte Mangelsituation verschleiern und die Schuld für Nichtzulassung beim Individuum verorten. Dagegen sind die Durchsetzung des antifaschistischen Impetus des Grundgesetzes und eine Ausrichtung des Bildungssystems an gesellschaftlichen Bedarfen Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Der Zugang zu Bildung ermöglicht eine demokratische Verfügung über die Verhältnisse und die Gestaltung der Gesellschaft durch alle ihre Mitglieder. Deshalb streiten wir für die Überwindung der Bachelor-Master-Quälerei und fordern genügend Studienplätze für alle, sodass der NC abgeschafft und der Master an allen Hochschulen Regelabschluss werden kann.

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