CampusGrün Hamburg

Offener Brief an das HIS zur Veranstaltung mit Klaus Püschel


Offener Brief des Ausschuss gegen Rechts vom 30. Januar:


Kritik an der geplanten Veranstaltung zur „Rolle der Rechtsmedizin bei der Aufklärung von Massenverbrechen“

In der Ankündigung des für den 13.02.2019 geplanten Vortrages von Klaus Püschel unter dem Titel „Die Rolle der Rechtsmedizin bei der Aufklärung von Massenverbrechen“ im Hamburger Institut für Sozialforschung heißt es: „Ruanda, Syrien oder das ehemalige Jugoslawien sind Synonyme für Massenverbrechen geworden, die uns bis heute beschäftigen. Wir erwarten die Bestrafung der Täter und einen würdevollen Umgang mit den Opfern.“
Doch welchen Platz bietet diese Veranstaltung dafür, die Menschenrechtsverletzungen (oder konkreter: die Verstöße gegen das Folterverbot und somit gegen die Menschenwürde) zu reflektieren, die von dem Vortragenden selbst praktiziert werden und wurden?
In der UN-Resolution vom 18. Dezember 1982 heißt es: „Es verstößt gegen die ärztliche Ethik, wenn medizinisches Personal, insbesondere Ärzte, sich mit Gefangenen oder Häftlingen in einer Weise beruflich befassen, die nicht einzig und allein den Zweck hat, ihre körperliche und geistige Gesundheit zu beurteilen, zu schützen oder zu verbessern“.
Klaus Püschel steht im Zusammenhang mit zwei medizinischen Praktiken, die jeweils höchst umstritten sind und beide gegen den Grundsatz der ärztlichen Ethik der UN verstoßen. Eine davon ist seit 2006 durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte untersagt. Die Bundesrepublik Deutschland wurde für die bisherige Praxis, die in Hamburg wesentlich Klaus Püschel als leitender Rechtsmediziner umsetzte, verurteilt.

Hamburger Auseinandersetzung um Brechmitteleinsätze gegen Rauschgift-Dealer*innen
Im Wahlkampf 2001 entschied der Senat der Hansestadt Hamburg unter Olaf Scholz als Innensenator die im Zwang durchzuführende Gabe des Brechtmittels Ipecacuanha. Dieses sollte die schnelle Beweissicherung von geschluckten Drogenkapseln ermöglichen. Als Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am UKE war Klaus Püschel für den Einsatz der Brechmittel verantwortlich. Unter dem Schill-Senat kam es in Hamburg im Dezember 2001 beim Einsatz von Brechmittel unter Zwang zum Tod des 19-jährigen Nigerianers Achidi John. Sowohl die Hamburger Ärztekammer als auch der Deutsche Ärztetag lehnten Brechmitteleinsätze unter Zwang schon 2002 ab. So heißt es z.B. in der Entschließung des 105. Deutschen Ärztetages: "Die Vergabe von Brechmitteln an verdächtigte Drogen-dealer zum Zwecke der Beweismittelsicherung ist ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten. Das gewaltsame Einbringen von Brechmitteln stellt ein nicht unerhebliches gesundheitliches Risiko dar." Trotzdem führte Püschel die Verabreichung weiter fort. Die inhumane Praxis führte Ende 2004 in Bremen zu einem weiteren Toten. Erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte 2006, das feststellte, dass die Methode gegen das Folterverbot des Artikel 3 der Europäischen Konvention der Menschenrechte verstößt, stoppte die Brechmitteleinsätze in Hamburg.

Altersbestimmung bei „minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen“
Da unbegleitete Geflüchtete im Kindesalter u.a. unter die UN Kinderrechts-Konvention fallen und somit vor Abschiebungen generell geschützt sind, ist die Altersbestimmung von Geflüchteten eine gängige Praxis, um die Möglichkeit von Abschiebungen zu prüfen. Hamburger Mediziner*innen unter Leitung von Professor Klaus Püschel im UKE greifen dabei zu Methoden, die sehr umstritten sind und von Großteilen der deutschen Mediziner*innen abgelehnt werden. So wurden zur unterstützenden Überprüfung der Körperentwicklung die Genitalien untersucht und zur abschließenden Altersbestimmung Röntgenbilder der Handknochen aufgenommen. Dabei verstößt die unfreiwillige Genitaluntersuchung, die nur in Hamburg und Berlin durchgeführt wurde, gegen die Menschenwürde. Die Genauigkeit der von Püschel bis heute vehement verteidigten Untersuchungsmethode bleibt umstritten. Auch die aktuell weiterhin praktizierte pseudofreiwillige Aufnahme von Röntgenbildern oder CT-Aufnahmen können strafrechtlich als Körperverletzung eingeschätzt werden, da von ihnen grundsätzlich Langzeitschäden ausgehen können. Ferner ist medizinethisch umstritten, inwiefern Ärzt*innen sich – wie durch Püschel praktiziert – überhaupt zum Werkzeug von Abschiebepraktiken machen sollten.

Auf Grund dieser Sachlage kann unserer Meinung nach keine Veranstaltung mit Prof. Püschel als geladenem „Experten“ zu gesellschaftswissenschaftlichen Fragestellungen stattfinden, ohne dabei explizit offenzulegen, aus welcher Position ein solcher „Experte“ hier eigentlich zu Fragen von Entwürdigungen des Menschen und der Funktion der Rechtsmedizin in der Aufklärung von Genoziden referiert. Wir stimmen der Veranstaltungsankündigung in folgender Feststellung zu: „Die Rechtsmedizin agiert […] nicht in einem neutralen Umfeld.“ In diesem Sinne ist unverständlich, Akteur*innen, die selbst maßgeblich zur Etablierung und Aufrechterhaltung menschenverachtender Praxis im medizinischen Kontext beitragen, eine Bühne zu geben, um sich als diejenigen zu gerieren, die im Sinne der Menschenwürde forensische „Aufklärung“ betreiben.
Weil eben diese Reflektion nicht im Rahmen der geplanten Veranstaltung möglich ist, fordern wir das Institut für Sozialwissenschaften auf, die Einladung von Prof. Püschel zurückzuziehen.

Dieser Brief wurde eine Woche vor der Veröffentlichung an das HIS geschickt. In der Antwort wurde - ohne auf unsere Einwände in irgendeiner Weise einzugehen - an der Einladung festgehalten.